Was sind Neuroendokrine Tumore?

Neuroendokrine Tumoren (NET) - oder nach der aktuellen WHO-Klassifikation Neuroendokrine Neoplasien (NEN) - stellen eine komplexe Gruppe seltener, aber an Häufigkeit zunehmender Tumore dar. Sie entstehen aus Zellen des neuroendokrinen Systems. Da diese Zellen diffus im Körper verteilt sind, können neuroendokrine Tumoren an vielen Stellen innerhalb aber auch außerhalb des Gastrointestinaltraktes auftreten. Eine Besonderheit der Neuroendokrinen Tumore (NET) ist die Fähigkeit Hormone zu bilden und auszuschütten. Die unkontrollierte Hormonausschüttung kann zu charakteristischen Syndromen führen (Karzinoid-Syndrom, Insulinom, Gastrinom = Zollinger Ellison-Syndrom, VIPom = Verner-Morrison-Syndrom, Glukagonom-Syndrom, u.a.), die Mehrzahl der Patienten leidet jedoch nicht an Hormonsyndromen, das heißt ihre Tumorerkrankung ist funktionell nicht aktiv. Die häufigsten Ausgangsorte der gastrointestinalen Tumoren sind der Enddarm (Rektum, hier in der Regel klein und ohne Metastasierung), die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und der Dünndarm. Häufig liegen bei Diagnosestellung bereits Metastasen (Tochtergeschwülste) vor.

Im Rahmen der Multiplen Endokrinen Neoplasie (MEN) Typ I können neuroendokrine Tumoren des Pankreas auch zusammen mit anderen Tumoren des endokrinen Systems vergesellschaftet sein.

Neuroendokrine Tumore mit Karzinoid-Syndrom.

Als Karzinoid-Syndrom bezeichnet man das Auftreten folgender Symptome: Anfallsartiges Auftreten von Hitzwallungen (Flushs), welche hauptsächlich den Kopf und Hals betreffen und durch bestimmte Nahrungsmittel wie Käse, körperlichen und psychischen Stress oder Alkohol ausgelöst werden. Desweiteren bestehen meist wässrige Durchfälle, die teilweise mit abdominellen Schmerzen einhergehen. Im weiteren Verlauf kann es unter dem Karzinoid-Syndrom zu einer Karzinoid-Herzerkrankung kommen. Diese auch als Hedinger-Syndrom bekannte, prognostisch relevante Komplikation entspricht einer Endokardfibrose (Verdickung der Herzinnenhaut durch vermehrte Bindegewebsbildung), die hauptsächlich das rechte Herz betrifft. Häufigste Manifestation ist eine Trikuspidalklappeninsuffizienz (Undichtigkeit der Klappe zwischen rechtem Vorhof und rechter Herzkammer), gefolgt von einer Pulmonalklappenstenose (ungenügende Öffnung der Klappe zwischen rechter Herzkammer und Lungenarterie) und einem kombinierten Herzklappenfehler. Unbehandelt kommt es in Verlauf meist zu einer Herzinsuffizienz. Weitere Symptome können Teleangiektasien (Gefäßerweiterungen der Haut, ca. 25% der Betroffenen), asthmatische Beschwerden (ca. 15% der Betroffenen) oder auch Pellagra-ähnliche Hautveränderungen (entzündliche Hautveränderung mit Hyperpigmentierung bei Vitamin B2-Mangel; selten) sein. Die meisten Tumore, die mit einem Karzinoid-Syndrom einhergehen, sind im Dünndarm lokalisiert und weisen bei Auftreten des Karzinoid-Syndroms in mind. 90% der Fälle bereits Lebermetastasen auf. Ursächlich liegt dem Karzinoid-Syndrom die Ausschüttung von Serotonin und weiteren Substanzen wie Tachykininen und Prostaglandinen durch die Tumorzellen zugrunde. Diagnostik: Da die Messung des Serotonins im Blut störanfällig ist, wird die Bestimmung des Serotonin-Abbauproduktes 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) im angesäuerten Sammel-Urin diagnostisch empfohlen. Hierbei sollte auf Meidung bestimmter serotoninreicher Speisen, die das Ergebnis verfälschen könnten, geachtet werden.

Gastrinome.

Gastrin bewirkt die Produktion von Magensäure. Gastrinome zeigen sich klinisch durch das Zollinger-Ellison-Syndrom bestehend aus Bauchschmerzen durch wiederkehrende Geschwüre im Zwölffingerdarm, Magen und gelegentlich im tieferen Dünndarm, durch Sodbrennen, Übelkeit und Durchfälle. Gastrinome sind hauptsächlich im Zwölffingerdarm und der Bauchspeicheldrüse lokalisiert. In einem Viertel der Fälle sind sie erblich bedingt (MEN-1-Syndrom=multiple endokrine Neoplasie Typ1) und mit dem Auftreten von hormonbildenden Tumoren in verschiedenen Organen wie Nebenschilddrüse, Hirnanhangsdrüse und Bauchspeicheldrüse assoziiert. Diagnostik: Nüchternspiegel des Gastrin im Blut. Hierfür sollten Protonenpumpenhemmer wie Pantoprazol oder Omeprazol mindestens eine Woche pausiert sein. Sollte dieses noch keinen eindeutigen Hinweis auf ein Gastrinom geben, wird ein sog. Sekretin-Test durchgeführt.

Insulinome.

Diese häufigsten hormonaktiven Tumore der Bauchspeicheldrüse produzieren Insulin, und bedingen eine typische Symptomatik einer Unterzuckerung mit Kaltschweißigkeit und Zittern bei Nachweis eines Blutzuckerspiegels von 50mg/dl sowie rasche Besserung nach Zuckeraufnahme. Insulinome sind meist klein, kommen einzeln vor und sind in über 90% der Fälle gutartig. Sie kommen fast ausschließlich in der Bauchspeicheldrüse vor und können selten Teil des erblichen MEN-1-Syndroms sein. Diagnostik: 72h-Hungerversuch mit regelmäßiger Messung des Blutzuckers, C-Peptids und Insulins im Blut.

Glukagonome.

Glukagonome sind Glukagon produzierende Tumore, die ebenfalls in >90% der Fälle in der Bauchspeicheldrüse auftreten. Klinisch zeigt sich ein Zuckererkrankung, ein Gewichtsverlust, eine Blutarmut, Durchfälle, Thromboseneigung und ein charakteristischer Hautausschlag mit Blasenbildung (sogenanntes Erythema necrolyticum migrans), welches hauptsächlich in den Beugefalten, am Unterschenkel, um den Mund und in der Genitalregionauftritt. Glukagonome sind bei Diagnosestellung bereits große Tumore und 2/3 der Fälle bereits metastasiert. Diagnostik: Plasmaglukagon, wobei Spiegel 1000ng/ml als beweisend gelten.

VIPome

Diese auch als Verner-Morrison-Syndrom oder "pankreatische Cholera" bekannten VIP produzierenden Tumore fallen durch großvolumige (6-8l/Tag) Durchfälle mit Verlust von Blutsalzen und Flüssigkeit auf. 90% der VIPome liegen in der Bauchspeicheldrüse. In ungefähr der Hälfte der Fälle finden sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits Metastasen. Diagnostik: Sekretorische Diarrhoe mit erhöhten Plasma-VIP-Spiegeln.

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